Am 18. März 2017 wollen es die Nazis um Christian Worch und Alexander Kurth der Partei die Rechte nochmal wissen: den Aufmarsch in der Frontstadt Leipzig. Was am 12. Dezember 2015 ein hermetisch abgeriegelter Marsch weniger Meter war, soll erneut versucht werden – diesmal ohne angekündigten Sternmarsch, aber mit eben soviel Provokation über die Hauptverkehrsstraßen des Leipziger Südens. Großspurig wird „Leipzig bleibt Deutsch“ verkündet und eine gelungene Zukunft in der Volksgemeinschaft ersehnt. Gesellschaftliche Verhältnisse werden hier naturalisiert und als organische Volkswirtschaft umgedeutet. Getreu dieser Devise wird zur Erhaltung des Volkskörpers eine „starke Gemeinschaft“ eingefordert, die sich durch „intakte Familien“ auszeichnet und alle „Landsleute“ auf „Kampfgeist und Durchhaltevermögen“ einschwört. Diese Schicksalsgemeinschaft nun soll den Kampf gegen „Raubtierkapitalismus“ aufnehmen, wozu Kadavergehorsam und unkritische Einreihung in all den völkischen Mumpitz erwartet wird. Dass dieser Weltanschauung der eliminatorische Antisemitismus des Nationalsozialismus entspringt und der jüdische Staat Israel geradezu zum Gegenprinzip, als zersetzende, entwurzelte Kraft wahrgenommen wird, verwundert nicht und drückt sich im expliziten Verbot der Staatsfahne beim Naziaufmarsch aus.
Dem kapitalistischen Normalzustand wird somit mit Gemeinschaften geantwortet, die fein säuberlich in Grenzen aufgeteilt sind und kritisches Hinterfragen allgemeiner Kategorien bestraft. Der biologische Rassismus alter Couleur, mitsamt der Höher- und Minderwertigkeit bestimmter Personengruppen, erfährt eine modernisierte Form im Konzept des Ethnopluralismus. Das Plädoyer für ein Europa der Vaterländer lässt jedoch keinen Zweifel an der strukturellen Nähe zum Rassismus, wenn nun statt von Rasse die Kultur als nicht veränderbar zu Zwangskollektiven verdammt. Märchen und Mythen bei der Gestaltung jetziger Nationalstaaten werden zur Staatsideologie erhoben und als Ausdruck kultureller Vielfalt propagiert. Die heterosexuelle Kernfamilie schließlich gilt es als kleinste Zelle der Volksgemeinschaft zu erhalten bzw. zu fördern, was die klassische Rollenverteilung einschließt und die Wahl anderer sexueller Orientierungen oder den allgemeinen Bruch mit biologischen Geschlechtern als „krank, unnormal“ pathologisiert. Wo Kritik der bestehenden Ordnung angebracht ist, da fehlen Kurth und Co. die Argumente und der gesunde Menschenverstand muss als (emotionales) Erklärungsmuster herhalten. Und bei allem eben beschriebenen Facetten der Volksgemeinschaft wird deutlich – eine vernünftige Einrichtung dieser Welt ist dem Faschismus ein Feindbild.
Rote Insel Leipzig/Connewitz
Leipzig gilt Nazis schon lange als rote Hochburg, die es zu stürzen gilt. Bereits 2006 erklärte Worch die Stadt zur Frontstadt und versuchte sich mehrere Jahre mit Demonstrationen in Leipzig. Dahinter steht politisches Kalkül. Worch erklärte selbst was unter diesem Konzept zu verstehen ist: „Wenn wir uns aus den Städten mit kritischem Antifa-Potential verdrängen lassen, wird die Antifa uns bald auch in die eher ruhigen Städte nachrücken, dann auch in die Kleinstädte, bis hin in die Dörfer.“ So ist dann auch das Einpeitschen auf „Durchhaltevermögen und Kampfgeist“ zu verstehen, denn Leipzig, besonders Connewitz, steht für eine Dystopie im faschistischen Weltbild. Ob es sich bei der Beschwörung des rechtsfreien Raums von Polizei und Nazis um Realität handelt, darf bezweifelt werden. Trotz alledem findet sich eine florierende Sport- und Kulturlandschaft in Connewitz, die auch politische Statements nicht scheut und in dieser Gemengelage tatsächlich einen gewissen Eigenwert für sich beanspruchen kann.
Doch auch außerhalb von Connewitz findet sich ein breites, aktives Bündnis an Menschen in Leipzig, welches seit Jahren störungsfreie Abläufe rechter Veranstaltungen zumeist verhindert. Das Ende des lokalen Pegida-Ablegers Legida im Januar 2017 gibt Zeugnis davon ab. Die dauerhafte Etablierung einer rechten Volksbewegung konnte verhindert werden, so dass die Aufmärsche von Legida immer weniger Zuspruch erfuhren. Dazu förderlich waren gerade zu Anbeginn die Fülle an unterschiedlichen Aktionsformen. Kundgebungen, Demos, Blockaden und militante Aktionen konnten Legida bald zu Bedenken geben, ob deren Traum einer völkischen Revolution ähnlich viele Menschen wie 1989 auf die Straße bringt. Hier gibt es jedoch auch kritisch anzumerken, dass mit fallender TeilnehmerInnenzahl bei Legida auch direkte Aktionen zusehends verschwanden. Wirkungslose Aktionsformen, wie stille Lichterketten oder Saufzeremonien, bestimmten indes zunehmend das Bild.
Darüber hinaus tauchte wieder die alte Leier von missliebigen, militanten Aktionen auf und sorgte für freudige Gesichter bei der Polizei. Deren Propaganda von der geforderten Trennung zwischen militanten und friedlichem Protest wird regelmäßig wiederholt und lässt sich auch gegenwärtig beim Naziaufmarsch am 18. März beobachten. Der Polizei ist an einem ruhigen, ordnungsgemäßen Tag gelegen: Der sächsische Alltag eben, wo interne Verbindungen mit militanten Nazis (Freital, Leipzig…) maximal zu einer Verlegung des Arbeitsplatzes führen und zivilgesellschaftliche Initiativen mit Schikanen konfrontiert sind. In ihrem einfachen Weltbild von richtiger (Polizei) und falscher (alles abseits der Exekutive) Gewalt werden direkte Störaktionen mit Knüppelschlägen, (abgelaufenen) Tränengas und anderen Repressalien geantwortet. Hierbei wird auch der Nutzen dezentraler Aktionen offensichtlich, denn diese schaffen Freiräume, um bspw. Sitzblockaden überhaupt erst zu möglichen. Es ist daher ein Unding bestimmte Gegenaktionen zu verurteilen, sondern es sollte vielmehr ein Zusammenspiel verschiedener Protestformen geben.
Die letzten Jahre waren von einem allgemeinen Abflauen militanter Proteste geprägt. Sie fanden häufig nur am Rande statt und sorgten selten für massenhaftem Gegenprotest. Der 12. Dezember 2015 markierte in dieser Hinsicht einen Bruch. Der immens hohen Polizeidichte rund um den Naziaufmarsch wurde militant begegnet, um auf die Route der Nazis zu gelangen. Leider gelang dies nicht, doch sorgten die Ausschreitungen im Leipziger Süden für Hektik bei der Polizei. Den Nazis wurde eine noch kürzere Route und eine schnellere Durchführung auferlegt. Trotzdessen sollte eine zu starke Fokussierung auf die Polizei nicht wiederholt werden und Freiräume zur Verhinderung des Naziaufmarschs genutzt werden. Der Teilerfolg vom 12. Dezember sorgte bei Nazis für ein Hochgefühl, da sie überhaupt ohne nennenswerte Blessuren marschieren konnten. Dies äußerte sich in Aktionen des kommenden Jahres. Der Nazi-Überfall am 11. Januar in Connewitz oder das Nazi-Event „Imperium Fighting Championship“ am 27. August stehen für ein neu gewonnenes Selbstbewusstsein der Nazis. Dieses gilt es zu stoppen – auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!
Vive la Commune!
Es sollte uns nicht um den Erhalt eines rebellischen Kiezes gehen, der allzu oft zur Sesshaftigkeit vieler Leute einlädt. Vielmehr gilt unser Kampf den gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen. Während der kapitalistischen Tristesse mit völkischen, irrationalen Wahn der Nazis begegnet wird, so gibt es auch alternative Erzählungen hierzu. In den 72 Tagen der Pariser Commune im Jahr 1871, dessen Beginn auf den 18. März datiert, wurde das Projekt einer radikalen Umwälzung der Gesellschaft versucht. Hierarchien wurden aufgelöst, die Teilhabe aller involvierten Individuen ein Rahmen gegeben und dem alten linksradikalen Credo „jede*r nach ihren*seinen Fähigkeiten, jede*r nach ihren*seinen Bedürfnissen“ Gestalt gegeben. Der kapitalistischen Barbarei wurde eine klassenlose Gesellschaft entgegen gehalten, welche versucht die Trennungen der Sphären einer Gesellschaft solidarisch aufzuheben. Das gute Leben für alle gilt es auch heute umzusetzen. Die Bedingungen sind vorhanden, es benötigt der praktischen Umsetzung.
Wir halten die Erinnerung an solcherart Splitter der Geschichte für notwendig. Gerade in krisenhaften Zeiten des Ausnahmezustands, des Weiter-So und TINA-Prinzips („There is no Alternative“) bricht sich herrschende Ideologie umso eindrücklicher Bahn, umso mehr Leute Zweifel an der Sinnhaftigkeit der kapitalistischen Verhältnisse bekommen. Doch gilt es diese Zweifel nicht mit nationalistischen Albträumen und der damit verbundenen Ungleichheit der Menschen zu beantworten, sondern die gesellschaftlichen Verhältnisse als veränderbar aufzuzeigen und eine solidarische Weltgesellschaft zu ermöglichen.
Es rettet uns kein hö’hres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!
In Erinnerung an die würdevollen Kommunard*innen,
Antifa Klein-Paris, März 2017