Am 29.11.2016 lud der Antifaschistische Frauenblock Leipzig (AFBL) unter dem Titel „Sag mir wo du stehst“ die linksradikalen Gruppen Prisma – Interventionistische Linke, The Future Is Unwritten und uns, die Antifa Klein-Paris, ins Conne Island. Der Abend widmete sich dem gegenwärtigen Stand der Israelsolidarität und der Umsetzung dieser in den Gruppen. Im Laufe der Diskussion wurden wir mit immergleichen Fragen konfrontiert, was einerseits viel über eine bestimmte Strömung israelsolidarischer Kritik verrät, und andererseits deutlich macht, dass unser eigenes Handeln nicht vermittelt werden konnte.
Der folgende Text möchte daher etwaige Missverständnisse ausräumen und die Art und Weise des eigenen Agierens begründen.
Vaterland, Heimatland, Feindesland
Als antifaschistische Gruppe liegt unser Schwerpunkt seit jeher auf dem Antifaschismus. Dies resultiert vor allem aus der Situation heraus, dass wir in Sachsen mit einer besonderen Breite von militanten Nazi-Strukturen und einer erzkonservativen Landesregierung konfrontiert sind. Letztere wird nicht zufällig seit über 25 Jahren in Quasi-Alleinherrschaft von der CDU gestellt und äußert sich in der autoritären Bekämpfung von allem, was sich links von ihr verortet, selbst zivilgesellschaftlicher Initiativen. Den theoretischen Überbau hierfür stellt die Extremismusideologie dar, die auf der falschen These einer „gesunden Mitte“ beruht, welche sich gegen die „politischen Ränder“ zur Wehr setzen müsse. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Gefahren des Faschismus findet somit nicht statt; jegliche Infragestellung des Status Quo wird als „extremistisch“ diffamiert und mundtot gemacht. Diese Art von Politik resultierte im letzten Jahr in den meisten Übergriffen auf Geflüchtete und Notunterkünfte im bundesweiten Vergleich. Besonders in provinziellen Gegenden herrscht eine patriotische Hegemonie, die im Zuzug einiger Geflüchteter die halluzinierte Identität schwinden sieht und linksradikale Jugendliche als „Nestbeschmutzer“ verachtet. Je mehr die vermeintliche „Flüchtlingskrise“ auch bei der Mehrheit staatstreuer Untertanen murrenden Protest hervorruft, umso mehr können sich militante Nazis der stillschweigenden Unterstützung ebenjener Bevölkerung sicher sein. Zusammenfassend werden diese Zustände auch trefflich als „Sächsische Demokratie“ betitelt.
Dabei sind wir uns der vergleichsweise luxuriösen Zustände in Leipzig bewusst. Viele linksradikale Projekte, militanter Antifaschismus und zivilgesellschaftliche Vereine halten Nazis in Schach, wodurch deren Aktivitäten zumeist nur unter Polizeischutz stattfinden können und bislang wenig Wirkung entfalten konnten. Und doch wissen wir auch um die Mehrheitsgesellschaft und die sächsischen Zustände. Wir sind daher an der Vernetzung mit politisch tragfähigen Gruppen in Sachsen und darüber hinaus interessiert, und waren in der jüngeren Vergangenheit mit antifaschistischen Interventionen beschäftigt. Auch das ideologische Rückgrat ist dabei Teil unserer Kritik, weswegen wir uns mit den geistigen Vätern der sogenannten „Neuen Rechten“ auseinandersetzen oder auch dem religiös motivierten Antifeminismus eine Absage erteilen. Im Zuge dessen konnten Bündnisse geschmiedet, neue Genoss*innen gefunden werden. Werden antisemitische oder antizionistische Umtriebe bei Gruppen oder Einzelpersonen offenbar, so findet keinerlei Zusammenarbeit statt. Jedoch stehen die Sorgen im provinziellen Raum Sachsens geradezu nie mit der Lage Israels in Zusammenhang.
Um eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Antisemitismus kommen wir selbstverständlich trotzdem nicht herum. Die rassistischen Zusammenrottungen verstehen sich als völkisches Bollwerk gegen Teile der kapitalistischen Zurichtung. Ihre Antwort zielt auf eine Stärkung des Nationalstaats, dessen Notwendigkeit auf allerlei Mythen aufbaut und einen Kulturkampf beschwört. Der kapitalistische Normalvollzug wird als ein von der herrschenden Elite gelenktes Unterfangen gedeutet. So wird eine von fremden Interessen geleitete Kontrolle über die Medien herbeihalluziniert; das Aufleben unterschiedlicher Verschwörungsideologien verwundert daher nicht und weist strukturelle Nähe mit antisemitischen Weltbildern auf.
Werdegang einer Kritik
Nun muss eine gegenwärtige Auseinandersetzung mit Antisemitismus auch ihr Verhältnis zu Israel bestimmen. Israel ist unter anderem Ausdruck gescheiterter Emanzipationsbewegungen der radikalen Linken: Waren Juden und Jüdinnen einstmals vom Antijudaismus im religiösen Gewand zu Repression und Vernichtung verdammt, konnten sie auch im Heiland des Nationalstaats vorerst keinen Schutz finden. Den Bemühungen seit Theodor Herzls Der Judenstaat (1896) wurde nicht hinreichend Rechnung getragen, und so verstaubten sie auf den Verhandlungstischen britischer Bürokraten. Allen Pogromen zum Trotz war es erst der eliminatorische Antisemitismus deutscher Couleur, der zur Staatsgründung 1948 führte, und dieser Staat fungiert seitdem als potentieller Schutzraum für jüdische Menschen weltweit.
Bis auf Teile der zionistischen Bewegung hatte die damalige radikale Linke keinen Anteil an der Staatsgründung und hat sich der fehlenden Auseinandersetzung bzw. adäquaten Gewichtung des Ressentiments des Antisemitismus schuldig gemacht. Im Glauben an eine staaten- und klassenlose Gesellschaft galt der Aufbau eines Nationalstaats als paradox und bei Parteikommunist*innen als Pakt mit der Reaktion. Für eine wirkliche Auseinandersetzung mit Israel gilt es, dieses Scheitern zu reflektieren. Die Utopie der befreiten Gesellschaft und ihre materialistische Kritik erfordern auch, eingedenk der historischen Tragödie, die Besonderheit Israels zu verstehen und nicht in den Kanon moralinsaurer Doppelstandards einzustimmen. Darum finden wir die Schlussfolgerungen einiger Kritiker*innen der bestehenden Verhältnisse absurd.
So schickte sich antideutsche Kritik einstmals an, den wenig bis gar nicht reflektierten Antisemitismus innerhalb der Linken und dessen deutsche Spezifik zu benennen, um letztlich ein solidarisches Verhältnis zu Israel einzufordern. Diese Kritik vollzog sich Anfang der 1990er noch als „radikaler Antinationalismus in Form einer antideutschen Kritik“ (Grigat, 1998). Sie begründete sich darauf, dass eine „antinationale Kritik […] in der BRD eben in dem Sinne antideutsch sein muss, dass sie die Besonderheiten des historischen und gegenwärtigen deutschen Nationalismus reflektiert“ und verstand sodann in der Annektion der DDR ein „völkisch-imperialistisches Projekt“ (ebd.).
Doch Zeiten ändern dich, und einige antideutsche Kritiker*innen sahen spätestens im Zuge des Terroranschlags auf das World Trade Center die Gefahr zuvörderst im politischen Islam. Sie beklagen bis heute eine fehlende ernstzunehmende Generalkritik am Islam innerhalb der Linken. Vielmehr würde diese sich in Differenzierungen des Islams verzetteln und sich nicht an militärischen Ratschlägen an westliche Nationalstaaten beteiligen. Der Irak-Krieg 2003 wurde entsprechend als emanzipatorischer Akt gefeiert, und das Zentralorgan Bahamas war sich nicht zu blöd, den damaligen Präsidenten George W. Bush als „Man of Peace“ zu bezeichnen. Bei aller Berechtigung der Kritik an der Verlogenheit globaler Friedensbewegungen – die einseitige Parteinahme in polit-ökonomischen Konflikten (bevorzugt im mittleren Osten) straft jegliches historische Erkenntnisinteresse Lügen. Die Kaltschnäuzigkeit außenpolitischer Analysen – allen historischen Vorgängen zum Trotz – kann zuweilen verwundern. Außerdem kann die Sinnhaftigkeit von Ratschlägen autonomer Gruppen an ausländische Großmächte zumindest bezweifelt werden.
Diesem antideutschen Tenor folgend wurden wir bei der Veranstaltung mehrfach vom Publikum aufgefordert, uns gegenüber dem Iran im Allgemeinen, und dessen Atom-Deal im Besonderen, zu äußern. Vermutlich nicht ganz frei von Polemik ließ sich eine dieser Personen gar zu der These hinreißen, dass von der jetzigen Präsidentschaft Donald Trumps ein Segen für Israel zu erwarten sei. Hierin drückt sich eine oft zu beobachtende Ignoranz antideutscher Kritik aus, welche realpolitisch nur einem geltenden Schema Beachtung schenkt und eine grundsätzliche Analyse vermissen lässt. Im Fall Trump haben wir es tatsächlich mit einer besonders schrecklichen Person zu tun. Dieser wird nicht müde, die Vaterlandsliebe einzufordern und weniger privilegierte Personengruppen allgemeiner Verachtung und staatlicher Repression auszusetzen. Doch was interessiert das den antideutschen Kritiker, sofern ein harmonisches Verhältnis zu Israel besteht?
Bekanntermaßen fällt eine Positionierung im Kuddelmuddel des Nahen und Mittleren Ostens schwer, denn die Lage ist von ökonomischen Interessen und religiösen Geschmäckern geprägt, die eine kategoriale Kritik derselben notwendig machen, aber ein Freund-Feind-Denken verunmöglichen. In dem Wirrwarr kurzlebiger Territorien verabscheuen wir den Islamfaschismus des „Islamischen Staat“ (IS). Daraus resultierend nun dem Iran im Krieg gegen den IS die Daumen zu drücken, werden wir jedoch ebenso nicht. Der Beispiele gäbe es weit mehr, sie sollen aber hier nicht weiter interessieren.
So gilt es womöglich feinfühliger, was heißt: differenzierter, sich den Konflikten zuzuwenden, als es Teile antideutscher Kritik tun.