21.08.: Ein Jahr nach Heidenau / Redebeitrag

Heidenau 21.08.16

Als wir vor ziemlich genau einem Jahr hier in Heidenau mit ca. 250 Antirassist*innen und Antifaschist*innen standen, tobte der rassistische Mob nur wenige Meter entfernt die zweite Nacht in Folge. Heidenau war ohne Frage der Höhepunkt einer Pogromstimmung, die sich nicht erst nachdem tausenden Geflüchtet die Balkanroute überschritten hatten, aufbaute. Die wurzeln dieser Eskalation lagen deutlich tiefer.

Erinnert sei an dieser Stelle an die rassistischen Fackelmärsche von Schneeberg im Winter 2013, an die ebenfalls von der NPD angeleiteten „Nein-Zum-Heim“ Proteste, die die Eröffnung von vielen Asylsuchendenheimen begleitete und nicht zuletzt an die PEGIDA-Bewegung, die diese rassistische Grundstimmung erfolgreich für sich zu nutzen wusste.

Diese besorgte ohne Frage den gesellschaftlichen Dammbruch des reaktionären Rollbacks. Der PEGIDA-Effekt zeigte deutlich seine Folgen. Während die montäglichen Aufmärsche im Verlaufe des Jahres 2015 einen stetigen Rückgang der Teilnehmendenzahl erfuhren, kam es vor allem im Ballungsraum Dresden vermehrt zu rassistischen Protesten, die sich direkt gegen Unterkünfte und Asylsuchende richten, wie in Freital, Meißen, Mittweida und hier Heidenau. PEGIDA-Personal marschierte und marschiert Seite an Seite mit bekennenden Neonazis. Zugleich stiegt die Zahl der rassistischen Angriffe im Vergleich zum Vorjahr auf das Doppelte; Anschläge begleitet allerorts die die Eröffnung von Unterkünften und verhinderten diese zum Teil. Und diese Entwicklung setzt sich bis dato ungebrochen fort – und das trotz des aktuellen Rückgangs mobartiger Versammlungen wie in Freital oder Heidenau.

Dementsprechende stecken wir noch immer in jenem Dilemma, das wir bereits vor knapp einem Jahr wie folgt beschrieben: „Erstens gibt es bisher keine praktische, antirassistische Antwort auf die zunehmende Verschärfung des Asylrechts und die unhaltbaren Bedingungen, denen Geflüchtete derzeit in Sachsen, aber auch bundesweit, ausgesetzt sind. Zweitens: Entgegen vieler Darstellungen ist der gegenwärtige Asyldiskurs nicht allein von einer „das Boot ist voll“-Rhetorik geprägt. Vielerorts ist gelebte Solidarität mit Geflüchteten zu sehen und gerade angesichts der aktuellen Zuspitzung scheint sich diese gesellschaftlich stärker zu verbreiten. Drittens führt diese gelebte Solidarität bisher nicht ansatzweise dazu, dass sich die politischen Verhältnisse progressiv entwickeln würden. Die Bewegung befindet sich in einem Abwehrkampf gegen Rassist*innen und staatliche Strukturen, allen voran gegen die Innenministerien von Bund und Ländern, die kaum einen Anlass auslassen, Asylrechtsverschärfungen zu fordern und durchzusetzen.“ (Zitat Ende!)

Der kurze, aber etwas Hoffnung stiftende „Sommer der Migration“ war schnell zu Ende. Die rassistische Deutung der sexualisierten Gewalt in der Silvesternacht in Köln und das propagandistische Dauerfeuer von AFD, CDU und CSU – aber auch von Teilen der SPD, GRÜNEN und Linkspartei besorgte den Rest. So pessimistische dieses Resümee nach einem Jahr klingen mag – so realistisch ist es leider.

Dennoch gilt es Ansätze für einen Weg aus dieser Sackgasse zu finden und radikal linke antirassistische und antifaschistische Politik nicht aufzugeben, sondern eine neue Praxis zu entwickeln.

Erstens: Keine Intervention ohne konkrete Solidarität! Antifaschistische Intervention bei rassistischen Zusammenrottung und antirassistische Solidarität sind zwei Seiten einer Medaille. Wo es keine Geflüchteten gibt, die wir versuchen zu Schützen und mit denen man gemeinsame Kämpfe organisieren kann, läuft Antifaschismus in leere.

Zweitens: Das völkische Denken unserer Zeit und der rechte Rollback sind nicht nur durch rassistische Denk und Handlungsmuster geprägt. Verfolgt man die Konjunkturen rechter Hetze aufmerksam – und dass macht gerade die mediale Verzerrung der Ereignisse von Köln deutlich: Antifeminismus und patriarchales Denken gehören ebenso zum Kerngeschäft der reaktionären Hetzer (#WerschütztunsereFrauen). Feminismus kann deshalb nicht nur schmückendes Beiwerk unserer Praxis sein, sondern muss ebenso viel Engagement entfesseln.

Drittens: Auch, wenn die AFD zunehmend zum parlamentarischen Flügel des Mobs auf der Straße wird und um Björn Höcke, Poppenburg und andere ein faschistischer Flügel wächst, dürfen wir nicht vergessen, dass die AFD die Voraussetzung ihres Verfolge nicht selbst geschaffen hat. Die Inszenierung der „Asylkrise“, die rassistische Spaltung der Gesellschaft und autoritäre Politik zur Rettung des Kapitalismus sind Erfindungen aus schwarzen, grünen und roten Amtsstuben. Mit der Zivilgesellschaft lassen sich also vielleicht die schlimmsten Brandherde löschen, vielleicht schaffen wir sogar die AFD zu diskreditieren. Um jedoch die Entstehung eines Großbrandes zu verhindern, braucht es eine radikale antirassistische, feministische und antikapitalistische Praxis – also ein vernünftiges Gegenfeuer … um in der Metapher zu verbleiben.

Gehalten auf der Demontration „Wir vergessen nicht! Das Schweigen in der sächsischen Provinz brechen!“ in Heidenau.
Bildquelle: Caruso Pinguin / Flickr

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