Mythos
Schon seit den frühen 90er Jahren gilt Connewitz als Stadtteil der radikalen Linken in Leipzig. Hausbesetzungen, Häuserkämpfe gegen Nazis und das staatliche Gewaltmonopol, militante Aktionen gegen Repression und Überwachung, der Versuch alternative Lebensentwürfe im städtischen Alltag zu verankern und eine Vielzahl linker, punkiger, kultureller und autonomer Projekte prägen bis heute das Bild der Straßen rund um das Connewitzer Kreuz.
Connewitz wurde über die Jahre zum Mythos, und dies nicht nur, weil der Stadtteil mittlerweile zum festen Bestandteil kulturpolitischen Stadtmarketings geworden ist. Für die Auseinandersetzung mit der radikalen Linken in Leipzig bleibt Connewitz bis heute der Hauptangriffspunkt staatlicher und nicht-staatlicher Antifa-Gegner*innen. Dies lässt vollkommen außer acht, dass die Konzentration “der Antifa” in Connewitz schon lang überwunden ist und sich eine Menge Räume außerhalb des Kiezes angeeignet wurden.
Wenn die Partei “Die Rechte”, die “Offensive für Deutschland” und “Thügida” am 12. Dezember 2015 durch Connewitz marschieren wollen, dann hat das vor allem einen Zweck: Sie begreifen sich als Teil einer in den letzten Jahren entstandenen rechten, völkischen Bewegung und wollen sich zugleich zu deren Speerspitze stilisieren. Dass dies nach den gescheiterten Versuchen des selbsternannten Neonaziführers Christian Worch erneut probiert wird, spiegelt aber vor allem eins wieder: das durch den rassistischen Konsens in Sachsen und durch ausbleibende oder wirkungslose antifaschistische Interventionen gewonnene Selbstvertrauen.
Mob & Märtyrer
Blickt man auf das letzte Jahr zurück, dann erscheint der im ersten Moment geradezu lächerlich anmutende Versuch dieser Kamerad*innen, einen Sternmarsch in Connewitz durchzuführen, als folgerichtig. So wurden nach einer aktuellen Zählung allein 64 der bundesweit verübten 222 Brandanschläge gegen Asylsuchenden-Unterkünfte in Sachsen begangen. Die Zahl rassistischer Versammlungen in Sachsen ist kaum noch zu überblicken, und Antifaschist*innen betrieben das ganz Jahr über eine wenig erfolgreiche Feuerwehrpolitik, um Geflüchteten-Unterkünfte zu schützen oder den Volkszorn im Zweifelsfall auf sich zu ziehen.
Freital, Meißen, Heidenau, Einsiedel, PEGIDA in Dresden und LEGIDA in Leipzig – diese Aufzählung ließe sich beinahe endlos fortsetzen. Anlass solcher Proteste ist fast immer die Einrichtung einer Asylsuchendenunterkunft oder einer Erstaufnahmeeinrichtung. Darüber hinaus gibt es ein Potpourri PEGIDA-ähnlicher Versammlungen, auf denen “Ängsten und Sorgen” Woche für Woche durch Hass, Verschwörungsdenken und Sozialneid Ausdruck verliehen wird. Alleine in der letzten Oktoberwoche gab es 37 rassistische Aufmärsche mit mehreren Tausend Personen in einem einzigen Bundesland: Sachsen.
Gegenprotest ist vor allem gegen Ende des Jahres immer spärlicher geworden, auch weil es vielerorts kaum antifaschistische Strukturen gibt. Die Mär von der “gesellschaftlichen Mitte” kann als restlos widerlegt gelten, hüllt diese sich doch angesichts der sächsischen Zustände weitestgehend in Schweigen oder steht Seite an Seite mit den “Asylkritikern”. Wie zum Beispiel in Meißen, dem Wahlkreis des Bundesinnenministers Thomas de Maizière, wo sächsische CDU-Funktionär*innen ideologische Aufbauhilfe für rassistische Heimatschützer betreiben.
Nicht zuletzt die Qualität der Übergriffe auf Antifaschist*innen zeigt, welchen Kampf die Rassist*innen und Neonazis derzeit zu führen gedenken. In Dresden-Übigau wurde während der Blockade einer naheliegenden Asylsuchendenunterkunft das Hausprojekt “Mangelwirtschaft” gleich mehrmals und organisiert mit Buttersäure, Steinen, Böllern und Pyrotechnik angegriffen. Seit Oktober gab es einen versuchten und zwei vollendete Messerangriffe auf Antifaschist*innen in Sachsen. Alle Täter*innen befinden sich auf freiem Fuß.
Der “Nationale Widerstand” imaginiert sich im völkischen Endkampf gegen “Umvolkung” und “Volksverräter”. So wenig sich die Rhetorik der willigen Vollstrecker*innen in den Reihen der Neonazis von der des rassistischen Mobs auf den Straßen von Dresden, Meißen und vielen anderen Orten unterscheidet, so wenig unterscheidet sich ihre gesellschaftliche Vision voneinander: die Volksgemeinschaft. Um diese zu erreichen, scheinen sie zu allem bereit, und der Versuch, in Connewitz aufzumarschieren, muss als selbstgefälliger Teil dieser Inszenierung verstanden werden. Einer Inszenierung, in der Kamerad*innen wie Kurth & Co auch bereit sind, die Rolle von Märtyrer*innen zu spielen. In diesem Sinne ist der Versuch aber zugleich nur Ausdruck eines viel größeren Problems und die Bereitschaft zur kritischen Reflexion und handgreiflichen Praxis gegen diese sächsischen Zustände darf nicht an den Grenzen des vermeintlichen Szenekiezes enden.
Militanz
Über das Jahr hinweg gelang es in Leipzig kontinuierlich gegen die derzeitige rassistische Bewegung zu mobilisieren: mal bürgerlich-moralisch, mal queer & militant und manchmal auch oldschool und kreativ. Gemessen an anderen Anlässen gefällt die vielfach selbstorganisierte und spontane Gegenmobilisierung gegen den Sternmarsch in Connewitz gewaltig und zeigt, dass wir diesen nicht unbeantwortet lassen werden. Es ist zu erwarten, dass dem Naziaufmarsch gerade hier angemessen begegnet werden kann. Was im besten Fall jedoch bleiben wird, ist den Mythos Connewitz zu bedienen. Die Nazis werden sich – ob mit oder ohne Aufmarsch – als Märtyrer*innen inszenieren und die staatliche Anti-Antifa wird keinen Anlass auslassen, um uns das Leben dafür zur Hölle zu machen.
Aber geschenkt. Im Rest Sachsens wird weiter eine etablierte asyl- und migrationsfeindliche Bewegung, die den derzeitigen Diskurs um Migration und Asyl dominiert, zurückbleiben. Nazis und Rassist*innen werden nicht aufhören zu hetzen, Menschen zu bedrohen und anzugreifen. In Connewitz werden wir diesem Pack ohne Frage mit allen Mittel entgegentreten. Doch gerade darüber hinaus braucht es eine entschlossene antirassistische und antifaschistische Linke. Die Wahl der Mittel muss dort nicht zwingend friedfertiger ausfallen – aber differenzierter. Dafür gab es im Laufe diesen Jahres zumindest gute Ansätze, wie die Platzbesetzung von Geflüchteten zu Beginn des Jahres in Dresden, die Verhinderung der Verlegung von Geflüchteten aus Leipzig-Connewitz nach Heidenau sowie die erfolgreichen #convoysofhope nach Österreich und darüber hinaus. Aktuell kämpfen antirassistische Initiativen und Geflüchtete für ein Socialcenter4All.
An dieser Stelle sei allen Fetischdienern des Grundgesetzes und moralischen Empörern mit auf den Weg gegeben: Euer sozialer Frieden ist nur zum Preis einer durch und durch rassistischen Gesellschaft zu haben. Wer dem rechten Terror landauf und landab entschlossen entgegen treten, den Menschen, die hier ankommen, ein würdiges Leben ermöglichen und die Ursachen ihrer Flucht beseitigen will, der kann dies nur gegen die bestehenden Verhältnisse tun. Dazu muss eine linksradikale Praxis und ein konsequenter Antifaschismus deutlich mehr Grenzen überschreiten, ebenso wie unsere Praxis in Solidarität mit den Kämpfen von Geflüchteten die Grenzen der rassistischen Asylpolitik sprengen muss.